Ein Gerücht hält sich hartnäckig über die Jahrhunderte

Der britische Astronom David Hughes beantwortete diese Frage 1983 in einer Fachzeitschrift ganz eindeutig: „Von einem tiefen Schacht aus zu beobachten, ist das Letzte, was man tun sollte, wenn man Sterne sehen möchte.“ Hughes wollte die Legende, dass man aus tiefen Schächten, vom Grunde eines Brunnens oder durch einen hohen Schornstein auch am Tageshimmel Sterne sehen kann, endgültig aus der Welt schaffen.

Ohne Erfolg. Noch heute kursiert dieses Gerücht hartnäckig im Internet und in der Literatur. Die Behauptung taucht das erste Mal im vierten Jahrhundert vor Christus in einer naturwissenschaftlichen Schrift des griechischen Philosophen Aristoteles auf – und wurde seither, da Aristoteles lange als Autorität galt – ungeprüft übernommen. Sogar bis in die heutige Zeit hinein.

Wie Hughes kopfschüttelnd feststellt, glaubten selbst gestandene Forscher lieber einer Legende, als diese durch eigene Beobachtungen zu überprüfen. Doch es gab auch Ausnahmen, wie den deutschen Naturforscher Alexander von Humboldt: Trotz vieler Aufenthalte in tiefen Minenschächten, so berichtet er in seinem berühmten Werk „Kosmos“, habe er von dort tagsüber niemals Sterne sehen können – und auch niemanden getroffen, der dieses aus eigener Anschauung berichten konnte.

Und das ist kein Wunder, wie David Hughes zeigt. Zunächst einmal ist es die große Flächenhelligkeit des Himmels, die eine Beobachtung von Sternen am Tageshimmel verhindert. Zwar ist es am Boden eines Schachts dunkel, weil man von dort aus nur einen kleinen Ausschnitt des Himmels sieht. Aber die Flächenhelligkeit dieses Himmelsausschnitts ist immer noch genauso groß wie die des Himmels außerhalb des Schachts.

Hinzu kommt, dass es am gesamten Himmel ohnehin nur wenige Tausend Sterne gibt, die hell genug sind, um mit bloßen Augen sichtbar zu sein. Es ist daher sehr unwahrscheinlich, dass ausgerechnet in dem kleinen, vom Boden eines Schachts aus sichtbaren Himmelsausschnitt einer dieser Sterne steht. Selbst in der Nacht ist von dort aus also nur höchst selten einmal ein Stern zu sehen.

Übrigens ist außer Sonne und Mond der Planet Venus das einzige Himmelsobjekt, dass - außerhalb tiefer Schächte – mit bloßen Augen am Tageshimmel sichtbar sein kann. Mit einem guten Fernglas lassen sich zudem Jupiter, Saturn und Mars, sowie die hellsten Sterne aufspüren. Und Astronomen beobachten mit ihren Fernrohren tatsächlich mitunter auch leuchtschwächere Sterne am Tageshimmel. Das ist möglich, weil durch die Vergrößerung in einem Fernrohr die Flächenhelligkeit des Himmels abnimmt, während die Helligkeit der punktförmigen Sterne sich nicht ändert – sie treten also aus dem dunkleren Himmel hervor.