Astronomen rekonstruieren die Geschichte eines ungewöhnlichen Sterns
Der enge Doppelstern Mel 34 rast mit einer Geschwindigkeit von 170.000 Kilometern pro Stunde aus dem Sternhaufen R136 in der Großen Magellanschen Wolke heraus. Jetzt hat ein Forschungsteam aus den Niederlanden und Spanien herausgefunden, warum: Vor 212.000 Jahren kam es im dichten Zentrum des Sternhaufens zu einer engen Begegnung, an der insgesamt fünf Sterne beteiligt waren. Infolge dieser Begegnung wurden alle diese Sterne als rasende Ausreißer aus dem Sternhaufen herauskatapultiert, wie die Wissenschaftler im Fachblatt „Physical Review Letters“ berichten.
Der 160.000 Lichtjahre entfernte Sternhaufen R136 ist mit einem Alter von ein bis zwei Millionen Jahren astronomisch gesehen jung und enthält bei einer Gesamtmasse, die der 60.000-fachen Masse unserer Sonnen entspricht, zahlreiche große, massereiche Sterne. Und aufgrund seines jungen Alters ist er dynamisch noch sehr aktiv: Bislang sind 55 Sterne bekannt, die den Sternhaufen mit hohen Geschwindigkeiten verlassen.
Simon Portegies Zwart von der Universität Leiden in den Niederlanden und seinen Kollegen ist es jetzt erstmals gelungen, die Geschichte eines dieser Ausreißer-Sterne – des engen Doppelstern Mel 34 – zu rekonstruieren. Dazu nutzten die Astronomen die Daten des europäischen Astrometrie-Satelliten Gaia. Er misst mit hoher Genauigkeit die Bewegung von über einer Milliarde Sternen.
Die Daten zeigen, dass Mel 34, der aus zwei Sternen mit jeweils über hundert Sonnenmassen besteht, ursprünglich aus dem Zentrum von R136 stammt. Dort muss es, wie die Berechnungen zeigen, 52.000 Jahre zuvor – da das Licht von R136 160.000 Jahre zur Erde braucht also insgesamt vor 212.000 Jahren – zu eine engen Begegnung mit einem oder mehreren Sternen gekommen sein. Zwart und seine Kollegen machten sich also in den Gaia-Daten auf die Suche nach weiteren Objekten, die zu dieser Zeit aus dem Zentrum des Sternhaufens herausgeworfen wurden.
Und sie wurden fündig: Offenbar waren der Einzelstern VFTS 590 und der Doppelstern Mel 39 zur gleichen Zeit am gleichen Ort. Was aber war dort genau geschehen? „Es ist extrem unwahrscheinlich, dass ein einzelner Stern gleichzeitig mit zwei engen Doppelsternen zusammentrifft“, schreiben Zwart und seine Kollegen. Die Lösung: VFTS 590 hat ursprünglich mit Mel 39 zusammen ein Dreifach-System gebildet.
Tatsächlich liefern Computersimulationen für ein solches Szenario – bei Berücksichtigung der Erhaltung von Energie, Impuls und Drehimpuls – ein Ergebnis, das in guter Übereinstimmung mit den Beobachtungsdaten von Mel 34, Mel 39 und VFTS 590 ist. Mehr noch: Das Szenario lässt sich durch künftige Beobachtungen überprüfen. Denn von Mel 39 ist zwar bekannt, dass es sich um einen Doppelstern handelt. Doch der zweite Stern des Systems entzog sich bislang der Beobachtung. Zwart und seine Kollegen sagen für diesen Stern nun eine Masse von 80 Sonnenmassen voraus.
Bildquelle: Michel Stoop