Verlief die Entstehung des Sonnensystems anders als bislang angenommen?

Das Verhältnis der Kalzium-Isotope in den Himmelskörpern des inneren Sonnensystems hängt von ihrer Masse ab. Dieses auf den ersten Blick unspektakuläre Ergebnis der Analyse eines Forscherteams aus Dänemark, Deutschland und Portugal hat Konsequenzen für die Entstehungsgeschichte des Sonnensystems. Planeten und Planetesimale seien nicht unterschiedlich schnell, sondern unterschiedlich lange angewachsen, schreiben die Wissenschaftler im Fachblatt „Nature“. Und im Gegensatz zu bislang favorisierten Szenarios seien Erde und Mond aus den Trümmern der Kollision zweier etwa gleich großer, spät entstandener Protoplaneten hervorgegangen.

Als Isotope werden unterschiedliche Arten eines Elements bezeichnet, die in ihren Atomkernen die gleiche Anzahl von Protonen besitzen – also chemisch identisch sind –, aber eine unterschiedliche Anzahl von Neutronen enthalten. Die relativen Häufigkeiten unterschiedlicher isotope eines Elements liefern Astronomen beispielsweise Hinweise auf die Herkunft von Meteoriten und auf die Entstehungsgeschichte der Himmelskörper unseres Sonnensystems. Bislang gingen die Forscher dabei davon aus, dass die Isotopenzusammensetzung in erster Linie vom Entstehungsort – vom Abstand von der jungen Sonne – abhängt.

Martin Schiller und Martin Bizzarro von der Universität Kopenhagen, sowie Vera Assis Fernandes vom Museum für Naturkunde in Berlin und der Universität Lissabon präsentieren jetzt eine Untersuchung der Kalzium-Isotope 44 und 48 in verschiedenen Meteoriten, deren Herkunftskörper bekannt sind, sowie dem Asteroiden Vesta und den Planeten Mars und Erde. Ihr überraschender Befund ist, dass das Verhältnis dieser Isotope nicht vom Entstehungsort, sondern von der Masse des Himmelskörpers abhängt. Ein solcher Zusammenhang lässt sich nicht erklären, wenn die Körper – wie bislang angenommen – in der protoplanetarischen Scheibe unterschiedlich schnell angewachsen sind und so zu ihren unterschiedlichen Massen gekommen sind. Stattdessen schlägt das Forscher-Trio vor, dass Protoplaneten alle gleich schnell anwachsen, dieser Prozess aber durch dynamische Prozesse unterschiedlich lange andauert.

Von besonderem Interesse ist dabei das System Erde-Mond. Das bevorzugte Modell für die Entstehung des Erdtrabanten ist derzeit der Zusammenstoß eines etwa marsgroßen Protoplaneten mit der Ur-Erde. Dieses Modell hat jedoch Schwierigkeiten, die Ähnlichkeit der Isotopen-Zusammensetzung von Erde und Mond zu erklären. Auch mit den von Schiller, Bizzarro und Fernandes ermittelten Werten für die Kalzium-Isotope ist dieses Szenario nicht im Einklang. Das Verhältnis der Kalzium-Isotope deute vielmehr auf die Kollision von zwei etwa gleich großen Protoplaneten mit jeweils etwa der halben Erdmasse, die am Ende der Akkretionsphase des Sonnensystems entstanden sind, so die Forscher.

Bildquelle: Nasa