Astronomen finden mehr Riesengalaxien als das kosmologische Standardmodell vorhersagt

Wann sind die größten Galaxien im Kosmos entstanden? Auf diese Frage hat jetzt ein internationales Forscherteam mithilfe der Radioteleskop-Anlage ALMA in Chile eine Antwort gefunden: Bereits in den ersten zwei Milliarden Jahren nach dem Urknall. Bislang waren diese jungen Galaxien den Astronomen entgangen, da sie im optischen Bereich unsichtbar sind. Doch im mit ALMA zugänglichen Mikrowellenbereich wurde das Team fündig und spürte gleich 39 junge massereiche Sternsysteme auf. Das werfe allerdings neue Probleme auf, so die Wissenschaftler im Fachblatt „Nature“: Die frühe Entstehung derart vieler großer Galaxien lasse sich im Rahmen des kosmologischen Standardmodell nicht erklären.

„Es ist das erste Mal, dass wir die Existenz einer solchen großen Population massereicher Galaxien bereits während der ersten zwei Milliarden Jahre nach dem Urknall vor 13,7 Milliarden Jahren nachweisen konnten“, erklärt Kotaro Kohno von der Universität Tokyo, einer der beteiligten Forscher. „Dieser Nachweis steht im Widerspruch zu den derzeitigen Modellen für die Entstehung von Strukturen im jungen Kosmos. Das wird uns dabei helfen, bislang fehlende Einzelheiten zu unserem kosmologischen Modell hinzuzufügen.“

Galaxien sind im Kosmos nicht gleichmäßig verteilt, sie bilden Gruppen und Haufen aus teilweise Tausenden von Galaxien. Im Zentrum solcher Haufen befindet sich stets eine besonders große und massereiche Galaxie. Wann diese Riesensysteme entstanden sind, war bislang unklar. Zwar deuteten Beobachtungen darauf hin, dass sie sehr früh in den ersten zwei Milliarden Jahren nach dem Urknall entstanden sein müssten. Doch die Suche nach diesen Galaxien im jungen Kosmos beispielsweise mit dem Weltraumteleskop Hubble war erfolglos.

Dafür gibt es zwei Gründe, wie Kohno und seine Kollegen erläutern. Zum einen enthalten die jungen Galaxien viel Staub, der ihr Licht zurückhält. Und zum anderen wird ihre Strahlung durch die Expansion des Weltalls so gestreckt, dass sie überwiegend im langwelligen Bereich liegt. Deshalb griff das Team auf ALMA zurück: Das aus 66 Antennen mit sieben bis zwölf Metern Durchmesser bestehende Atacama Large Millimeter/Submillimeter Array auf dem 5000 Meter hohen Chajnantor-Plateau in der Atacamawüste in den nordchilenischen Anden ist auf Beobachtungen im langwelligen Bereich spezialisiert.

Und mit ALMA hatte das Team Erfolg: Gleich 39 massereiche Galaxien im jungen Kosmos entdeckten die Astronomen in dem von ihnen durchsuchten Himmelsausschnitt. Und das wirft ein neues Problem auf: Hoch gerechnet auf den ganzen Himmel sind das zehn bis hundert Mal mehr derartige Galaxien, als das Standardmodell der Kosmologie vorhersagt. „Wir müssen unsere Vorstellungen über die Entstehung der massereichen Galaxien offenbar erheblich revidieren“, folgern die Wissenschaftler um Kohno. Entscheidend könnte dabei der Einfluss der Dunklen Materie sein. Woraus diese rätselhafte Substanz besteht, die etwa 80 Prozent der Masse des Universums ausmacht, ist bislang nicht bekannt. Detaillierte Beobachtungen der großen Galaxien im jungen Kosmos, beispielsweise mit dem zukünftigen Weltraumteleskop James Webb, könnten Rückschlüsse auf ihre Entstehung und damit auch auf die Dunkle Materie erlauben.

Bildquelle: ALMA