Astronomen finden mehr kleinräumige Strukturen als vorhergesagt

Die geheimnisvolle Dunkle Materie ist in Galaxienhaufen erheblich ungleichmäßiger verteilt, als es Computersimulationen im Rahmen des kosmologischen Standardmodels vorhersagen. Das zeigt die Analyse von elf großen Galaxienhaufen durch ein internationales Forscherteam. Die Wissenschaftler nutzten für ihre Untersuchung den „Gravitationslinseneffekt“, also die Ablenkung des Lichts weiter entfernter Galaxien an im Vordergrund liegenden Galaxienhaufen. Die sich daraus ergebenden Verzerrungen der Bilder der fernen Galaxien deuten auf mindestens zehn Mal mehr Verdichtungen in den Galaxienhaufen als theoretisch vorhergesagt, so die Astrophysiker im Fachblatt „Science“.

Ursache für diese Diskrepanz könnten „systematische Probleme bei den Simulationen oder falsche Annahmen über die Eigenschaften der Dunklen Materie“ sein, schreiben Massimo Meneghetti vom Nationalen Institut für Astrophysik in Bologna, Italien, und seine Kollegen. Das Team verwendete für seine Analyse detaillierte Daten über die elf Galaxienhaufen, die vom Weltraumteleskop Hubble, sowie vom Very Large Telescope der Europäischen Südsternwarte in Chile geliefert worden waren. Diese verglichen sie mit den Ergebnissen von Computersimulationen von 25 Galaxienhaufen mit ähnlichen Eigenschaften wie den beobachteten.

Wirkt ein Galaxienhaufen als Gravitationslinse, so verzerrt er das Aussehen weiter entfernter Galaxien – sie können zu lang gestreckten Bögen auseinander gezogen werden und es können Mehrfachbilder auftreten. Verdichtungen der Dunklen Materie innerhalb eines Galaxienhaufens können als zusätzliche Gravitationslinsen agieren und zu weiteren Verzerrungen der Hintergrund-Galaxien führen. Aus der Form der weiter entfernten Galaxien können die Astrophysiker also sowohl die globale Massenverteilung in dem Galaxienhaufen als auch die Häufigkeit von lokalen Verdichtungen ableiten.

Der Vergleich der Beobachtungen mit den Simulationen zeigt nun, dass die Galaxienhaufen mindesten zehn Mal mehr „Klumpen“ aus Dunkler Materie enthalten als im Standardmodell der Kosmologie erwartet. Das ist überraschend, denn bislang zerbrachen sich Kosmologen über einen entgegengesetzten Effekt ihre Köpfe: Die Simulationen liefern erheblich mehr Zwerggalaxien als Beobachtungen von Galaxienhaufen zeigen. Deshalb zweifeln Meneghetti und seine Kollegen auch daran, dass Fehler bei den Simulationen die Ursache für die von ihnen gefundene Diskrepanz sind: Jede Änderung, die zu mehr Verdichtungen führt, müsste zugleich das Problem der Zwerggalaxien verschlimmern.

Die Forscher sehen in der hohen Zahl von Verdichtungen daher eher einen Hinweis darauf, dass sich die Dunkle Materie anders verhält als bislang angenommen. Die Dunkle Materie macht etwa 80 Prozent der Masse im Kosmos aus und bislang ist völlig unklar, woraus sie besteht. Im kosmologischen Standardmodell gehen die Forscher von der Annahme aus, dass die Dunkle Materie mit normaler Materie – also dem Stoff, aus dem Sterne, Planeten und wir Lebewesen sind – ausschließlich über die Schwerkraft in Wechselwirkung steht. Wenn jedoch insbesondere in dichteren Regionen in Galaxienhaufen andere Wechselwirkungen eine Rolle spielen sollten, dann könnte das, so Meneghetti und seine Kollegen, zu einer anderen Verteilung der Masse führen und damit die Beobachtungen erklären.

Bildquelle: NASA, ESA, G. Caminha (University of Groningen), M. Meneghetti (INAF-Observatory of Astrophysics and Space Science of Bologna), P. Natarajan (Yale University), CLASH team