Der Besucher aus den Tiefen des Alls ist ursprünglicher als alle bekannten Kometen unseres Sonnensystems

Am 30. August 2019 entdeckte der Amateurastronomen Gennadi Borisov auf der Krim einen neuen Kometen, der sich bald als ungewöhnlich erwies: Es handelt sich um einen Besucher aus dem interstellaren Raum, einen Kometen also, der vor vielen Millionen Jahren aus seinem eigenen Sonnensystem ausgestoßen worden war. Zur Überraschung der Astronomen schien er sich gleichwohl nicht von den bekannten Kometen unseres Sonnensystems zu unterscheiden. Neue Beobachtungen eines internationalen Teams mit dem Very Large Telescope der Europäischen Südsternwarte zeigen jetzt jedoch, dass sich der Komet Borisov in einem wesentlich ursprünglicheren Zustand befindet als alle bekannten Kometen unseres Sonnensystems.

Stefano Bagnulo vom Armargh Observatory in Großbritannien und seine Kollegen berichten im Fachblatt „Nature Communications“ über Messungen der Polarisation des von an der Gas- und Staubhülle – der Koma – des Kometen reflektierten Lichts. „Die Polarisation ist stärker als es für Kometen unseres Sonnensystems üblich ist“, so die Wissenschaftler. Aus der Polarisation des Lichts können Astronomen Rückschlüsse auf die Beschaffenheit der Staubpartikel in der Kometen-Koma ziehen. Eine starke Polarisation zeige, so Bagnulo und seine Kollegen, dass die Staubteilchen klein und fluffig, also locker aufgebaut sind. Die Forscher folgern daraus, dass Komet Borisov außergewöhnlich „frisch“ ist, sich seit seiner Entstehung kaum durch äußere Einflüsse verändert hat.

Der einzig bislang bekannte Komet mit ähnlich starker Polarisation ist Hale-Bopp, der große Komet von 1997. Auch bei ihm handelt es sich um einen sehr ursprünglichen Kometen, der vermutlich erst das zweite Mal durch das innere Sonnensystem zog und dort dem Einfluss der Sonnenstrahlung ausgesetzt war. Doch während die Polarisation bei Hale-Bopp ungleichmäßig war, ist sie bei Komet Borisov über die ganze Koma homogen. „Das deutet darauf hin, dass Borisov sogar noch ursprünglicher ist als Hale-Bopp“, so Bagnulo und seine Kollegen. Der interstellare Besucher sei in seinem Ursprungsystem vermutlich niemals in die Nähe des Zentralsterns gelangt.

Weitere Rückschlüsse auf die Entstehungsgeschichte von Komet Borisov erlauben Beobachtungen eines zweiten internationalen Teams mit ALMA, dem „Atacama Large Millimeter/Submillimeter Array“, einer aus 66 Antennen bestehenden Radioteleskop-Anlage in den nordchilenischen Anden. Wie Bin Yang vom Institut der Europäischen Südsternwarte in Santiago in Chile und seine Kollegen im Fachblatt „Nature Astronomy“ berichten, deuten die ALMA-Messungen auf eine große Menge an festen Gesteinsteilchen mit Größen oberhalb von einem Millimeter in der Koma hin.

Was zunächst wie ein Widerspruch zu den Beobachtungen von Bagnulo und seinem Team wirkt, lasse sich einfach erklären, so Yang: „Optische Beobachtungen sind empfindlich für kleine Partikel im Mikrometerbereich oder darunter, unsere Beobachtungen dagegen sind empfindlich für millimetergroße Teilchen.“ Die beiden Teams haben also unterschiedliche Bestandteile der Kometenkoma beobachtet. Yang und seine Kollegen folgern aus ihren Beobachtungen, dass der Komet Borisov in einer Region seines Heimatsystems entstanden sein müsse, in dem es bereits viele größere Gesteinskörper gab. Denn nur durch viele Kollisionen solcher Gesteinsbrocken könnten, so die Forscher, die kleinen von ALMA nachgewiesenen Gesteinspartikel entstanden sein.

Bildquelle: Nasa/GSFC