Extrem lang gestreckte Umlaufbahnen deuten auf eine gemeinsame Geburt

Astronomen kennen viele Doppelsysteme aus zwei nahezu identischen Sternen. Solche Sternen-Zwillinge sollten, so die Theorie, aus einer gemeinsamen Gaswolke entstanden sein. Doch viele von ihnen sind mehrere hundert- bis tausendfach weiter voneinander entfernt als die Erde von der Sonne. Gaswolken, aus denen Sterne entstehen, sind jedoch wesentlich kleiner. Ein internationales Forscherteam scheint jetzt diesen Widerspruch aufgelöst zu haben: Die beiden Sterne solcher Systeme bewegen sich zumeist auf extrem langgestreckten Umlaufbahnen – und das deute darauf hin, dass die Zwillinge sich früher enger beieinander befanden, so die Wissenschaftler im Fachblatt „Astrophysical Journal Letters“.

„Typische protostellare Scheiben sind etwa hundert Astronomische Einheiten groß“, erläutern Hsiang-Chih Hwang vom Institute for Advanced Study in Princeton und seine Kollegen, „und das ist viel kleiner als die typischen Abstände solcher Zwillingspaare.“ Vielleicht, so überlegten sich die Forscher, sind die Sterne dicht beieinander entstanden, dann aber durch Störungen ihrer Bahnen weiter auseinander gewandert. Dann allerdings müssten die Bahnen stark elliptisch sein.

Und das ist nicht so einfach zu überprüfen, da die Umlaufzeiten solcher weiten Systeme viele hundert oder gar tausend Jahre betragen können. Hwang und seine Kollegen versuchten es daher mit einem statistischen Ansatz. Dazu verwendeten sie Beobachtungen des europäischen Astrometrie-Satelliten Gaia. Das Datenarchiv dieses Weltraumteleskops enthält genaue Positionen und Geschwindigkeitsmessungen für fast eine Million Sternen-Zwillinge mit Abständen von 400 bis 1000 Astronomischen Einheiten.

Aus diesen Daten ermittelten Hwang und seine Kollegen zwei Richtungen, nämlich einerseits die Richtung der Verbindungslinie zwischen beiden Sternen, und andererseits die Richtung der relativen Geschwindigkeit beider Sterne zueinander. Bei nahezu kreisförmigen Bahnen sollten diese beiden Richtungen etwa einen rechten Winkel bilden. Stattdessen fanden die Forscher jedoch eine Verteilung mit Maxima nahe 0 und 180 Grad – und das ist typisch für langgestreckte Ellipsenbahnen.

„Diese hohen Exzentrizitäten deuten darauf hin, dass die Bahnen durch dynamische Prozesse während der Entstehungsphase stark gestört worden sind“, so Hwang und seine Kollegen. „Ein solches Szenario ist also in Einklang mit einer Entstehung beider Sterne in einer einzigen Gaswolke.“ Bleibt die Frage, welcher Prozess die Bahnen gestört hat. Infrage kommen sowohl Wechselwirkungen der jungen Sterne mit der rotierenden Gasscheibe, aus der sie entstanden sind, als auch enge Vorübergänge weiterer Sterne.

Die Forscher betonen, dass die Antwort auf diese Frage auch für Einzelsterne von Interesse ist: Die Störungen könnten nämlich mitunter so groß sein, dass sich die Paare auflösen – in zwei Einzelsterne, die in entgegengesetzten Richtungen davon fliegen. „Weite Sternen-Zwillinge können uns also“, so Hwang und seine Kollegen, „einen Einblick in die dynamische Geschichte von Sternen-Populationen geben.“

Bildquelle: NASA Goddard