Über 100.000 neue Mondkrater auf Bildern chinesischer Raumsonden katalogisiert

Insgesamt 109.956 neue Mondkrater mit Durchmessern von mehr als einem Kilometer hat ein Forscherteam aus China, Island und Italien auf Basis der von den chinesischen Sonden Chang’e-1 und -2 gelieferten Daten identifiziert. Darüber hinaus gelang es dem Team, für 18.996 dieser Krater auch das Alter – also den Zeitpunkt ihrer Entstehung – zu bestimmen. Wie die Wissenschaftler im Fachblatt „Nature Communications“ berichten, verwendeten sie dafür ein innovatives Verfahren künstlicher Intelligenz: eine Kombination aus maschinellem Lernen mit einem mehrschichtigen neuronalen Netz mit „transfer learning“, der Übertragung neu gewonnenen Fähigkeiten auf ein weiteres Problem.

„Einschlagkrater sind das lunare Äquivalent von Fossilien“, erläutern Chen Yang von der Universität Jilin in China und seine Kollegen, „sie sind eine Aufzeichnung der Geschichte unseres Sonnensystems.“ Denn aus der Anzahl und dem Alter der Krater lässt sich ableiten, wann es im Sonnensystem besonders heftig zuging, also vermehrt zum Zusammenstoß größerer Himmelskörper gekommen ist. Aus diesem Grund sind Astrophysiker an einer möglichst lückenlosen Erfassung der Krater einschließlich ihres Alters auf dem Erdtrabanten interessiert.

Zwar gibt es bereits eine große Zahl von Datenbanken mit Mondkratern, die zum Teil auf visuellen Inspektionen, zum Teil auf automatisierten Verfahren beruhen. Doch wie Yang und seine Kollegen betonen, leiden alle diese Kataloge daran, dass sie auf subjektiven Kriterien basieren. Auch maschinelles Lernen wurde bereits erfolgreich zur Kratersuche eingesetzt. „Doch die dafür bislang verwendeten Trainingsdaten bestanden nur aus einfachen Kratern“, betonen Yang und seine Kollegen. „Sie repräsentieren deshalb nicht die unregelmäßigen und bereits erheblich erodierten Krater der frühen Mond-Epochen – und gerade diese bieten uns wichtige Informationen über die Geschichte des Mondes.“

Das Team um Yang ist deshalb einen Schritt weiter gegangen und hat ein mehrschichtiges künstliches neuronales Netz zunächst mit Daten von 7895 bekannten Kratern trainiert. Die anschließend vom Computer auf den Bildern der Mondsonden identifizierten Krater wurden von den Forscher überprüft und, soweit verifiziert, als neues Trainingsmaterial verwendet. So konnte das Team per „transfer learning“, der Übertragung von neu gewonnenem Wissen, Schritt für Schritt kleinere Krater und Krater mit ungewöhnlichen Formen aufspüren.

In einem weiteren Schritt konnten Yang und seine Kollegen auf ähnliche Weise auch das Alter vieler der neu entdeckten Krater bestimmen. Als Ausgangsbasis dienten dabei 1411 Krater mit bekanntem Alter. Als entscheidende Anhaltspunkte für das Alter eines Einschlagskraters dienen dabei Überlappungen mit neueren Kratern, die Anzahl kleinerer Krater im inneren eines großen Kraters, sowie die Verteilung des beim Einschlag ausgeworfenen Materials auf die Krater in der Umgebung. Für insgesamt 18.996 Krater mit Durchmessern über acht Kilometern konnte das Team so den Entstehungszeitpunkt bestimmen und einer der fünf bekannten Mond-Epochen zuordnen.

Die Wissenschaftler stellen sowohl ihr Verfahren als auch die damit gewonnenen Daten für weitere Forschungen in einer Datenbank zur Verfügung. Sie regen ihre Kollegen in aller Welt dazu an, das kombinierte Verfahren des maschinellen Lernens künftig auch für die Suche nach Kratern auf den Planeten Merkur, Mars, Venus, dem Zwergplanten Ceres und dem großen Asteroiden Vesta anzuwenden und so neue Erkenntnisse über die Entwicklung des Sonnensystems zu gewinnen.

Bildquelle: NASA