Selbst im Sonnenlicht könnte sich dicht unter der Oberfläche Wasser ansammeln und gefrieren
Schon in einer Tiefe von nur zehn Zentimetern könnte es in vielen Regionen an den Polen des Mondes Wassereis geben – selbst dort, wo die Sonne scheint. Zu diesem Schluss gelangt jetzt ein Forschungsteam aus Indien nach Auswertung von Daten der Mondsonde Chandrayaan-3. Die Sonde hatte unter anderem die Temperatur im Mondboden untersucht und war dabei auf überraschend starke Schwankungen gestoßen, wie die Wissenschaftler im Fachblatt „Communications Earth & Environment“ berichten.
„Der Abbau von Wassereis ist ein entscheidender Schritt, um bemannte Stationen auf dem Mond zu unterhalten“, schreiben Durga Prasad vom Physical Research Laboratory in Ahmedabad. Aus dem Eis ließe sich nicht nur Trinkwasser gewinnen, sondern auch Sauerstoff für die Atemluft sowie Wasserstoff und Sauerstoff als Treibstoff für Raumfahrzeuge.
An den Polen des Erdtrabanten gibt es zahlreiche Gebiete innerhalb von Kratern, die im ewigen Schatten liegen. Dort hat sich vermutlich über Jahrmillionen hinweg Wassereis angesammelt. Deshalb gelten die Pole des Erdtrabanten als attraktiver Standort für bemannte Mondstationen. Die Ergebnisse der Untersuchungen von Prasad und seinem Team machen die polaren Regionen jetzt sogar noch attraktiver.
Chandrayaan-3 war am 23. August 2023 am Rande der südpolaren Mondregion gelandet. Mit an Bord: das Experiment ChaSTE, das – erstmalig seit den Apollo-Missionen in den 1970er Jahren – Temperaturmessungen in den oberen Schichten des Mondbodens durchführen konnte. Bei der Auswertung der Daten stießen Prasad und seine Kollegen auf eine Überraschung: In zehn Zentimetern Tiefe lag die Höchsttemperatur im Mondboden mit 82 Grad Celsius um 24 Grad höher als auf Basis der Apollo-Daten erwartet.
Mehr noch: Eine weitere Messung im Abstand von nur einem Meter lieferte eine um 23 Grad niedriger Tageshöchsttemperatur. Mit derart kleinräumigen Schwankungen der Temperatur hatten die Wissenschaftler nicht gerechnet. Doch rasch stießen die auf eine Erklärung: Während die zweite Messung auf flachem Boden stattfand, war der Mondboden am Ort der ersten Messung um sechs Grad Richtung Sonne geneigt und konnte sich deshalb stärker erwärmen.
Die Neigung des Mondbodens spiele also offenbar eine bislang unterschätzte Rolle für die Temperatur unmittelbar unter der Mondoberfläche, so Prasad und seine Kollegen. Das Team entwickelte ein Modell, um die Temperaturen in Abhängigkeit von der Neigung des Bodens zu berechnen. Das Ergebnis überraschte die Forscher erneut: In den polaren Regionen reicht bereits eine Neigung von 14 Grad gegen die Sonne aus, um in zehn Zentimetern Tiefe die Temperatur dauerhaft unter den Gefrierpunkt sinken zu lassen.
Nicht nur in den im ewigen Schatten liegenden Kratern könnte es also Wassereis geben, sondern auch dicht unter der Oberfläche in weiten Gebieten mit ausreichender Neigung – und hier wäre das Eis auch, wie die Forscher betonen, viel leichter abzubauen. Das sind gute Aussichten für die geplanten Artemis-Missionen, die in wenigen Jahren wieder Astronauten zum Mond bringen sollen. Die erste Landung ist dabei in der Südpolregion des Erdtrabanten geplant.
Bildquelle: ISRO