Experten uneins über Interpretation der Messdaten – äußere Zone des Sonnensystems ist komplexer als vermutet
La Cruces/Pasadena (USA) - Da musste die Pressestelle der American Geophysical Union (AGU) kräftig zurückrudern. „Voyager 1 hat das Sonnensystem verlassen“ hatte sie unter Bezug auf eine im Fachblatt „Geophysical Research Letters“ der AGU erschienenen Bericht verkündet. Postwendend gab es eine Stellungnahme der Nasa: „Im Voyager-Team sind wir uns darüber einig, dass Voyager 1 das Sonnensystem noch nicht verlassen hat.“ Und die AGU änderte den Titel ihrer Pressemitteilung flugs um in „Voyager 1 hat eine neue Region des Weltraums erreicht“.
Seit langem schon warten die Forscher darauf, dass Voyager 1 die so genannte Heliosphäre verlässt und in das interstellare Gas eintaucht. Aus der heißen Atmosphäre der Sonne strömen ständig geladene Teilchen ins Weltall ab. Dieser Sonnenwind bewegt sich mit Überschallgeschwindigkeit nach außen und erzeugt eine Art Blase, eben die Heliosphäre, in dem dünn verteilten Gas zwischen den Sternen. Irgendwann jedoch ist der Sonnenwind so stark verdünnt, dass er das interstellare Gas nicht länger zurückdrängen kann. Dort, wo Sonnenwind und interstellares Gas erstmals aufeinander prallen, bildet sich eine Stoßwelle, der so genannte Termination-Schock. Bereits im Dezember 2004 hatte die Voyager 1 den Termination-Schock durchquert.
Doch hier endet das Sonnensystem noch nicht, der Sonnenwind dringt noch weiter nach außen. Erst ab April 2011, in einer Sonnenentfernung von 113,5 Erdbahnradien, begann Voyager 1 eine langsame Abbremsung des Sonnenwinds zu registrieren. William Webber von der New Mexico State University berichtet nun in den „Geophysical Research Letters“ über eine weitere Veränderung. Am 25. August 2012 zeigten die Messgeräte der Raumsonde erhebliche Schwankungen der Teilchenstrahlung an. „Innerhalb weniger Tage sank die Intensität der anomalen kosmischen Strahlung auf weniger als ein Prozent des bisherigen Werts“, so Webber. Als anomale kosmische Strahlung bezeichnen die Forscher hochenergetische Teilchen, die durch Magnetfelder in der äußeren Heliosphäre gefangen sind. „Gleichzeitig stieg die Intensität der galaktischen kosmischen Strahlung – hochenergetische Teilchen von außerhalb des Sonnensystems – auf mehr als das Doppelte an – und genau das erwarten wir beim Verlassen der Heliosphäre.“
„Schaut man nur auf die Teilchenstrahlung, dann würde man in der Tat sagen: Auf Wiedersehen, Sonnensystem!“, kommentiert Tom Krimigis von der Johns Hopkins University kritisch. Man müsse jedoch zusätzlich auch die Messungen des Magnetfelds berücksichtigen. Und hier habe man bislang keine ähnlich radikale Änderung registriert, wie sie für die Grenze der Heliosphäre zu erwarten sei. Demnach wäre Voyager also immer noch innerhalb der Heliosphäre.
Auch Webber beurteilt die Situation durchaus differenziert: „Ich würde schon sagen, dass wir außerhalb der normalen Heliosphäre sind – wir sind in einer neuen Region.“ Insgesamt sei die Übergangszone zwischen Heliosphäre und interstellarem Raum offenbar weitaus komplexer als ursprünglich angenommen. „Die im August 2012 durchquerte Grenze ist die bislang stärkste Barriere für energiereiche Teilchen, auf die Voyager gestoßen ist“, so der Forscher weiter. Damit habe der von ihm als „Helioklippe“ bezeichnete Übergang sehr viel Ähnlichkeit mit der Heliopause, also der klassischen Grenze der Heliosphäre.
Schon bald könnte es weiteren Aufschluss über die Verhältnisse am Rand des Sonnensystems geben. Das Voyager-Team hat bereits mehrere weitere Forschungsberichte – unter anderem auch über Messungen des Magnetfelds - beim Fachjournal „Science“ eingereicht. Bis zur Veröffentlichung müssen die Forscher jedoch – so will es die Politik von „Science“ – Stillschweigen über ihre Ergebnisse bewahren.
Bildquelle: NASA