Experiment verbessert Genauigkeit um das Zwanzigfache – keine Abweichung vom Standardmodell gefunden
Aarhus (Dänemark) / Chicago (USA) - Das Ergebnis ist für die Wissenschaftler nicht überraschend, aber trotzdem von großer Bedeutung: Die Atome des Antimaterie-Elements Wasserstoff sind elektrisch neutral, genau wie ihre „normalen“ Gegenstücke. Messungen eines internationalen Forscherteams am Teilchenforschungszentrum CERN bei Genf zeigen, dass die Ladung von Anti-Wasserstoff-Atomen geringer ist als der milliardste Teil der Elementarladung. Damit übertraf das Team frühere Ergebnisse um das Zwanzigfache an Genauigkeit. Auch für die Ladung des Positrons, dem Antimaterie-Gegenstück des Elektrons, ergab sich aus dem Experiment ein um das 25-fache verbesserter Wert, wie die Forscher im Fachblatt „Nature“ berichten.
„Antimaterie fasziniert Physiker insbesondere deshalb, weil es sie im beobachtbaren Universum überhaupt nicht zu geben scheint“, schreiben Jeffrey Hangst von der Universität Aarhus in Dänemark und seine Kollegen. „Das Standardmodell sagt jedoch voraus, dass nach dem Urknall Materie und Antimaterie gleich häufig entstanden sind – und bietet keine quantitative Erklärung dafür, warum die Antimaterie verschwunden ist.“ Deshalb ist es für die Forscher so wichtig, nach Unterschieden zwischen Antimaterie- und Materie-Atomen zu suchen.
Das jedoch ist nicht so einfach – denn Materie und Antimaterie vernichten sich gegenseitig bei direktem Kontakt. Zwar ist es heute kein Problem, mit Teilchenbeschleunigern Antiprotonen und Positronen zu produzieren. Und diese elektrisch geladenen Teilchen lassen sich mit elektrischen und magnetischen Feldern auch leicht manipulieren. Fügt man Antiprotonen und Positronen jedoch zu Anti-Wasserstoff-Atomen zusammen, so sind diese elektrisch neutral und deshalb schwieriger einzufangen und zu untersuchen. Hangst und seinen Kollegen gelang dies zumindest zeitweilig und für einzelne Anti-Atomen mit einer magnetischen Falle. Die Forscher beobachteten dann, ob die Anti-Atome unter dem Einfluss unterschiedlich starker elektrischer Felder schneller aus der Falle entkommen – das wäre ein Hinweis darauf gewesen, dass Anti-Wasserstoff eben nicht vollständig elektrisch neutral ist. Doch das Team konnte keinen solchen Effekt feststellen und damit die elektrische Neutralität mit der bislang höchsten Genauigkeit bestätigen.
Damit finden Hangst und seine Kollegen zwar keine Abweichung vom Standardmodell und damit auch keine Erklärung für die Abwesenheit von Antimaterie im Kosmos. Aber sie eröffnen neue Möglichkeiten für künftige experimentelle Untersuchungen von Anti-Atomen, wie Thomas Phillips vom Illinois Institute of Technology in Chicago in einem begleitenden Kommentar in „Nature“ hervorhebt. Eine entscheidende Frage sei, so Phillips, ob Antimaterie sich auch bezüglich der Schwerkraft identisch verhalte wie Materie – denkbar sei nämlich auch, dass Materie und Antimaterie sich gravitativ gegenseitig abstoßen. Dann könne es im Kosmos – für uns nicht erkennbar – getrennte Regionen aus Materie und Antimaterie geben. Um die Schwerkraft von Anti-Atomen zu messen, muss zuvor jedoch absolute Klarheit über ihre elektrische Ladung herrschen, denn die elektrische Anziehung übertrifft die Gravitation bei weitem. Hier nun hat das Experiment von Hangst und seinem Team einen erheblichen Fortschritt gebracht. Darauf aufbauend rechnet Phillips schon bald mit entscheidenden Messungen der Schwerkraft von Anti-Atomen.
Bildquelle: J.S. Hangst/ALPHA