In einer zwei Milliarden Lichtjahre großen Region um die Milchstraße gibt es etwa ein Fünftel weniger Materie als im Durchschnitt im Kosmos
Mithilfe von Computersimulationen können Forscher heute sehr gut die Entstehung dieser Strukturen im Kosmos nachvollziehen. In der Zeit seit dem Urknall können, so zeigen diese Modelle, maximal Strukturen mit einer Größe von bis zu 1,2 Milliarden Lichtjahren entstehen. Und doch sind Astronomen in den vergangenen Jahren zusehends auf Ansammlungen von Galaxien gestoßen, die diese Größe überschreiten.
Beispielsweise die „Extrem Große Quasar-Gruppe“ U1.27, die mit einer Ausdehnung von vier Milliarden Lichtjahren das theoretische Limit deutlich überschreitet. Quasare sind hell leuchtende Kerne ferner Galaxien. Ihre Strahlung stammt von Materie, die in supermassereiche Schwarze Löcher mit der millionen- oder gar milliardenfachen Masse unsere Sonne hineinfällt. Durch ihre große Helligkeiten eignen sich Quasare besonders gut, um die Verteilung von Galaxien in großer Entfernung zu untersuchen.
Genau das Gegenteil unternahmen Thomas Shanks von der University of Durham in Großbritannien und seine Kollegen im Jahr 1990: Sie zählten Galaxien in der näheren Umgebung unserer kosmischen Heimat. Und fanden deutlich weniger als sie erwartet hatten. Als Shanks das Ergebnis auf einer Fachtagung vortrug, schlug ihm zunächst Skepsis entgegen. Doch weitere Beobachtungen anderer Forschungsteams bestätigten den Verdacht, das die Umgebung der Milchstraße ungewöhnlich ist.
Den Ausschlag gaben schließlich 2013 genaue Messungen von Ryan Keenan vom Institut für Astronomie and Astrophysik in Taiwan, Amy Barger von der University of Wisconsin-Madison in den USA und Lennox Cowie von der University of Hawaii. In einer zwei Milliarden Lichtjahre großen Region um die Milchstraße gibt es, so das Ergebnis, etwa ein Fünftel weniger Materie als im Durchschnitt im Kosmos. Nach den Anfangsbuchstaben der drei Forscher heißt diese Region seither auch „KBC-Leere“. Auch dieses kosmische Loch ist also größer als es das Standardmodell der Astronomen für das Universum erlaubt.
Ist also etwas am Standardmodell der Forscher für unseren Kosmos falsch? Nach den derzeitigen Vorstellungen der Wissenschaftler besteht der Kosmos nur zu einem kleinen Teil – etwa fünf Prozent – aus der uns bekannten, sichtbaren Materie. Aus dieser normalen Materie bestehen Sterne, Planeten und auch wir Menschen. Etwa 25 Prozent macht die bereits erwähnte Dunkle Materie aus. Ohne die zusätzliche Anziehungskraft dieser rätselhaften Substanz könnten sich, so zeigen astronomische Messungen, keine Galaxien und Galaxienhaufen bilden.
Mit etwa 70 Prozent macht schließlich die Dunkle Energie den Löwenanteil im Kosmos aus. Hierbei handelt es sich um eine Art Energie des leeren Raums, die dazu führt, dass sich unser Universum nicht nur ausdehnt, sondern dass die Geschwindigkeit dieser Expansion auch noch zunimmt.
Bislang haben die Forscher zwar viele – oft spekulative – Ideen, worum es sich bei der Dunklen Materie und der Dunklen Energie handeln könnte, jedoch keinerlei experimentelle Hinweise. Es gibt also durchaus noch Spielraum für das Modell des Kosmos. Insbesondere die noch unbekannten Teilchen, aus denen die Dunkle Materie besteht, könnten die Bildung von Strukturen beeinflussen und so vielleicht doch größere Gebilde wie die Große Leere oder die Quasar-Gruppe U1.27 erlauben.
Die besondere Lage der Milchstraße inmitten der Großen Leere könnte möglicherweise sogar ein anderes Rätsel der Kosmologie lösen. Denn wenn Astronomen mit unterschiedlichen Methoden messen, wie schnell sich das Universum ausdehnt, stoßen sie auf ein seltsames Phänomen: Die Expansion des Kosmos scheint in unserer näheren Umgebung etwas schneller zu verlaufen als in großer Entfernung. Das aber wäre inmitten eines kosmischen Lochs nur natürlich. Da es dort weniger Materie gibt, ist auch die Anziehungskraft geringer, welche die kosmische Expansion abbremst – entsprechend schneller verläuft die Expansion.
Allerdings ist bislang umstritten, ob die „Tiefe des Lochs“, gerade einmal 20 Prozent weniger an Materie, ausreicht, um die unterschiedlichen Messungen der kosmischen Expansion zu erklären. Für die Himmelsforscher bleibt also noch einiges zu tun. Weitere Messungen müssen zeigen, wie leer die Große Leere tatsächlich ist – denn noch ist unklar, ob es dort auch weniger Dunkle Materie gibt. Und Beobachtungen von Galaxien in großen Entfernungen müssen zeigen, ob die KBC-Leere eine Ausnahmeerscheinung im Kosmos ist – oder ob es vielleicht doch viele solcher Löcher im Universum gibt.
Bildquelle: Pablo Carlos Budassi; CC BY-SA 4.0