Hat eine nukleare Explosion im Inneren unseres Planeten den Mond erzeugt?
Vor 4,5 Milliarden Jahren kam es im Sonnensystem zu einer gigantischen Katastrophe. Die junge Proto-Erde stieß mit Theia zusammen, einem weiteren, etwa marsgroßen Protoplaneten. Der Zusammenprall katapultierte große Mengen an Materie aus Kruste und Mantel der beiden Himmelskörper ins Weltall – und daraus entstand innerhalb weniger hundert Jahre unser Mond.
Über Jahrhunderte hinweg war der Ursprung des irdischen Trabanten für die Himmelsforscher ein Rätsel, zahlreiche Erklärungsversuche – vom Einfang des Mondes bis zu seiner Abspaltung von einer rasant rotierenden Erde - wetteiferten miteinander. Die von den Astronauten der amerikanischen Apollo-Missionen zur Erde gebrachten Gesteinsproben waren jedoch mit keiner dieser Theorien in Einklang zu bringen. Mitte der 1970er Jahre präsentierten zwei amerikanische Forscherteams dann die Kollisions-Hypothese, die rasch an Popularität gewann. Mit aufwändigen Computersimulationen gelang es vor zehn Jahren zu zeigen, dass – die richtige Geschwindigkeit und den richtigen Aufprallwinkel vorausgesetzt - der Zusammenstoß mit einem marsgroßen Körper tatsächlich einen Mond mit der korrekten Größe und Umlaufbahn produziert. Fall abgeschlossen.
Oder doch nicht? „Die Zusammensetzung des Mondgesteins stimmt in keiner Weise mit den Vorhersagen der Kollisiontheorie überein“, sagt Wim van Westrenen von der Universität Amsterdam. Und sein Kollege Rob de Meijer von der Universität Groningen ergänzt: „Laut Kollisionsmodell stammen 80 Prozent des Mondes von dem kleineren Körper und nur 20 Prozent von der Erde.“ Wie kann es dann sein, so der Geophysiker, dass das Apollo-Mondgestein in seiner Zusammensetzung so sehr Material aus dem Mantel der Erde ähnelt?
Van Westrenen und de Meijer sind deshalb davon überzeugt, dass die Entstehung des Mondes nicht mit einem kosmischen Zusammenstoß, sondern mit einer planetaren Atomkatastrophe begann: Tief im Inneren der Erde, an der Grenze von Mantel und Kern unseres Planeten, so ihre These, sei ein natürlicher Kernreaktor überkritisch geworden und explodiert. Mit der Energie von 44 Billiarden Hiroshima-Bomben verdampfte die nukleare Kettenreaktion eine riesige Menge an Gestein, eine gewaltige Gasblase bahnte sich ihren Weg nach oben, riss dabei Materie aus Mantel und Kruste mit sich und schleuderte sie hinaus ins Weltall. Und dann geht es weiter wie beim Kollisionsmodell: Aus dem herausgeschleuderten Gestein formt sich der Mond – nur diesmal ausschließlich aus Materie der Erde.
Die Idee natürlicher Kernreaktoren klingt auf den ersten Blick absurd, ist aber keineswegs abwegig. Schon vor 60 Jahren kam der japanische Geochemiker Paul Kuroda zu dem Schluss, auf der jungen Erde müsse die Ansammlung radioaktiver Elemente zur Bildung von „Georeaktoren“ geführt haben. Zunächst belächelt, bestätigte sich Kurodas These 1972 beim Abbau von Uran im zentralafrikanischen Gabun. Experten der französischen Atombehörde CEA stießen in der Mine auf eine anomal niedrigen Anteil des spaltbaren Isotops Uran-235. Die einzige Erklärung: Das Uran hat bereits als Brennstoff in einem natürlichen Kernreaktor gedient. Insgesamt fanden die Forscher 16 solcher jeweils mehrere Meter großen fossilen Reaktoren, in denen vor zwei Milliarden Jahren nukleare Kettenreaktionen abliefen.
Vor 4,5 Milliarden Jahren könnte es am unteren Rand des Erdmantels zu einem ähnlichen Phänomen gekommen sein, nur in erheblich größeren Dimensionen. Wie de Meijer und van Westrenen erläutern, sind auf der jungen Erde schwere Elemente wie Plutonium und Uran nach innen gesunken. Da diese Elemente sich nicht mit dem Eisen des Kerns vermischen konnten, bildeten sie große Reservoirs an der Grenze von Mantel und Kern. Wie in einem Reaktor erzeugten radioaktiv zerfallende Atomkerne schnelle Neutronen, die ihrerseits Kernspaltungen auslösten. Mehr noch: Wie in einem so genannten Schnellen Brüter konnte selbst nicht spaltbares Material Neutronen aufnehmen und sich so in spaltbares Plutonium umwandeln. Die Menge an radioaktiven Stoffen nahm unkontrolliert zu und es kam schließlich zu der gewaltigen nuklearen Katastrophe.
Unter Geophysikern stößt die nukleare Geburt des Mondes bislang eher auf Skepsis. „Man müsste die Spalt- oder Zerfallsprodukte auf der Erde finden, was man aber nicht tut“, betont etwa Carsten Münker von der Universität Bonn, einer der angesehensten Mond-Experten in Deutschland. „Wir haben bereits gezeigt, dass die Isotopen-Verhältnisse von Helium und Xenon auf der Erde mit der Kernspaltungs-Hypothese in Einklang sind“, kontert van Westrenen, „andere Elemente sind davon, soweit wir wissen, nicht beeinflusst.“
Allerdings würde die nukleare Explosion zu einem erhöhten Anteil an Helium-3 auf dem Mond führen. Die bisherigen Mondproben sind jedoch nicht geeignet, um diese Erhöhung nachzuweisen, da auch der Sonnenwind Helium-3 an der Oberfläche des Erdtrabanten erzeugt. „Wir benötigen Gestein aus mindestens zehn Metern Tiefe“, so de Meijer. Der Forscher hofft, dass künftige Mondmissionen solche Gesteinsproben zur Erde bringen – und so helfen, das Rätsel um die Herkunft des Mondes endgültig zu lösen.
Gefahr aus dem Erdinneren?
Die Erde erzeugt – wie viele andere Planeten auch - in ihrem Inneren immer noch mehr Energie, als sie von außen von der Sonne erhält. Heute noch aktive Georeaktoren könnten diesen Energieüberschuss produzieren. Darauf deuten auch Messungen mit verschiedenen Neutrino-Detektoren hin, die einen stetigen Strom der geisterhaften Elementarteilchen aus dem Inneren der Erde registrieren. Ihre Energie ist in guter Übereinstimmung damit, dass sie als Nebenprodukt von nuklearen Reaktionen entstehen.
Die offene Frage ist, ob diese Reaktionen als natürliche Radioaktivität mehr oder weniger gleichverteilt im Erdmantel ablaufen – oder ob es in bestimmten Regionen Ansammlungen spaltbaren Materials gibt, die als Georeaktor aktiv sind. Ein globales Netz aus Neutrino-Detektoren könnte die Herkunft der Teilchen lokalisieren und so diese Frage beantworten.
Eins allerdings ist sicher: Eine weitere gigantische Atomexplosion im Erdinneren müssen wir nicht befürchten. Die Stoffe, die vor 4,5 Milliarden Jahren die nukleare Katastrophe ausgelöst haben, haben eine geologisch gesehen kurze Halbwertszeit und sind inzwischen nahezu vollständig zerfallen.
Bildquelle: Nasa