„Hubble-Spannung“ deutet auf unbekannte Physik im jungen Kosmos

Woraus besteht das Universum – und wie schnell dehnt es sich auch? Auf diese Fragen hat ein internationales Forscherteam die bislang genauesten Antworten erhalten. Dazu werteten die Astronomen Daten von über 1500 Sternexplosionen in bis zu 10,7 Milliarden Lichtjahren Entfernung aus. Das Problem: Das so ermittelte Tempo der kosmischen Expansion steht in deutlichem Widerspruch zu einem mit einer anderen Methode ermittelten Wert. Das deute auf die Existenz eines bislang unbekannten physikalischen Phänomens im jungen Kosmos, so die Wissenschaftler im Fachblatt „Astrophysical Journal“.

Im Rahmen des Projekts Pantheon+ hat das Team den zeitlichen Verlauf der Helligkeit von Sternexplosionen eines bestimmten Typs gesammelt und ausgewertet. Wenn ein Stern wie unsere Sonne seinen nuklearen Energievorrat vollkommen aufgebraucht hat, endet er als Weißer Zwerg. Nur noch etwa so groß wie die Erde, kühlt ein solcher Sternen-Überrest über Jahrmilliarden hinweg langsam ab. Bildet ein solcher Weißer Zwerg jedoch ein Doppelsystem mit einem zweiten großen Stern, so kann er diesem Materie – hauptsächlich Wasserstoff-Gas – entreißen.

Irgendwann hat ein Weißer Zwerg dann so viel frischen Wasserstoff angesammelt, dass es zu einer thermonuklearen Explosion kommt – einer Supernova des Typs Ia. Solche Explosionen sind für Astronomen äußerst wertvoll, denn sie leuchten alle gleich hell auf. Wie hell eine solche Supernova am irdischen Himmel aufleuchtet, hängt deshalb nur von ihrer Entfernung ab. Aus der beobachteten Helligkeit der Sternexplosion können Astronomen also die Entfernung der Supernova berechnen.

Ausgestattet mit dieser kosmischen Messlatte können Himmelsforscher durch die Beobachtung vieler Supernovae in unterschiedlichen Entfernungen bestimmen, woraus das Universum besteht und wie schnell es sich ausdehnt. Die Daten von Pantheon+ bestätigen zunächst einmal mit bislang unerreichter Genauigkeit das bisherige kosmologische Modell: Die Materie, aus der Sterne, Planeten und auch wir Menschen bestehen, macht nur einen verschwindend kleinen Anteil von etwa fünf Prozent des Kosmos aus. Dominiert wird das Universum von Dunkler Materie und Dunkler Energie – zwei bislang mysteriösen Substanzen.

Die Dunkle Materie, die etwa 29 Prozent zum Kosmos beiträgt, sorgt dafür, dass Galaxien und Galaxienhaufen von der Schwerkraft zusammengehalten werden – allein die sichtbare normale Materie würde dazu nicht ausreichen. Ohne Dunkle Materie wären im Kosmos daher niemals Sterne, Planeten und auch kein Leben entstanden. Die Forscher vermuten, dass die Dunkle Materie aus bislang unbekannten Teilchen besteht. Doch alle Versuche, solche Teilchen aufzuspüren, blieben bislang ohne Ergebnis.

Noch rätselhafter ist die Dunkle Energie. Das Universum ist vor 13,8 Milliarden Jahren beim Urknall entstanden und dehnt sich seither immer weiter aus. Durch die Anziehungskraft der Materie sollte diese kosmische Expansion langsam abgebremst werden. Tatsächlich ist das Gegenteil der Fall: Sie beschleunigt sich. Als Ursache sehen die Forscher eine Art innerer Energie das Raumes. Die Daten von Pantheon+ zeigen jetzt, dass diese Dunkle Energie sich im Verlauf der kosmischen Geschichte vermutlich nicht verändert hat, sie ist konstant.

Brisant ist die Antwort von Pantheon+ auf die Frage, wie schnell sich das Universum heute ausdehnt. Astronomen beschreiben die Ausdehnungsgeschwindigkeit mit der „Hubble-Konstanten“, benannt nach Edwin Hubble, dem Entdecker der kosmischen Expansion. Pantheon+ liefert für die Hubble-Konstante einen Wert von 73,4 mit einer Unsicherheit von nur noch 1,3 Prozent. Es gibt jedoch eine zweite, unabhängige Methode, die Hubble-Konstante zu bestimmen. Sie basiert auf einer genauen Untersuchung der kosmischen Hintergrundstrahlung – einer Art Strahlungsecho des Urknalls – und liefert einen Wert von 67,4 mit einer Unsicherheit von 0,7 Prozent.

Dieser Unterschied wird als „Hubble-Spannung“ bezeichnet. Bislang gab es unter Forschern immer noch die Hoffnung, dass der Unterschied sich schlicht als statistischer Fehler erweist. Doch mit den neuen Daten von Pantheon+ ist die Wahrscheinlichkeit dafür auf weit unter ein Zehntausendstel Prozent gesunken. Wissenschaftler sprechen von „5 Sigma“, einer allgemein akzeptierten Grenze zwischen einem Zufalls-Ergebnis und einem tatsächlichen physikalischen Phänomen.

„Wir hatten gehofft, mit unseren Daten eine mögliche Lösung für das Problem zu finden“, sagt Dillon Brout vom Harvard Smithsonian Center for Astrophysics in den USA, einer der beteiligten Forscher. „Stattdessen müssen wir viele verblieben Erklärungen verwerfen und die Unterschiede sind ernster als je zuvor.“ Die Hubble-Spannung deute also auf „neue Physik“ im jungen Kosmos – und inzwischen gibt es viele theoretische Überlegungen dazu. „Aber diese Theorien müssen erst noch dem wissenschaftlichen Prozess standhalten“, so Brout – sich also durch weitere Beobachtungsdaten überprüfen lassen.

Bildquelle: NASA/CXC/U.Texas