Langjährige Messungen untermauern umstrittenes Phänomen – es könnte als Frühwarnsystem für Sonnenstürme dienen

West Lafayette (USA)Die Zerfallsrate des radioaktiven Isotops Chlor-36 schwankt im Jahreslauf – sie scheint vom Abstand der Erde von der Sonne abzuhängen. Darauf deuten Messungen amerikanischer Forscher hin: Die Zerfallsrate ist bei Sonnennähe am höchsten, bei Sonnenferne am niedrigsten. Die im Fachblatt „Astroparticle Physics“ veröffentlichten Daten liefern damit weitere Beweise für ein Phänomen, über das erstmals 2006 berichtet wurde und das seither umstritten ist. Da die Zerfallsrate einiger Isotope möglicherweise auch durch die Sonnenaktivität beeinflusst wird, könnte sich der Effekt als Frühwarnsystem für Sonnenstürme eignen.

„Es ist das erste Mal, dass dasselbe Isotop bei zwei verschiedenen Experimenten in zwei unterschiedlichen Laboren verwendet wurde – und denselben Effekt gezeigt hat“, erläutert Ephraim Fischbach von der Purdue University in West Lafayette im US-Bundestaat Indiana. Fischbach war 2006 durch Zufall darauf gestoßen, dass der Zerfall von Mangan-54 sich 39 Stunden vor großen Eruptionen auf der Sonne geringfügig ändert. Systematische Messungen führten dann auf die Entdeckung einer jährlichen Periodizität der Zerfallsrate, sowie auf Schwankungen im Einklang mit der Rotationsdauer und dem Aktivitätszyklus der Sonne.

Doch die Existenz des Effekts blieb bislang unter Physikern umstritten. Denn Experimente anderer Forschungsgruppen mit anderen Isotopen lieferten widersprüchliche Ergebnisse. Teils fanden die Wissenschaftler ähnliche Variationen, teils keine Hinweise darauf. Fischbach und seine Kollegen haben nun die von 2005 bis 2011 gesammelten Kalibrationsdaten eines Strahlungsmessgeräts am Forschungsreaktor der Ohio State University ausgewertet. Die Daten zeigen, so berichtet das Team, eine signifikante jährliche Variation der Zerfallsrate von Clor-36 in Abhängigkeit vom Abstand Erde-Sonne. Die Messungen stimmen zudem mit früheren Untersuchungen des Zerfalls von Chlor-36 am Brookhaven National Laboratory überein.

Die Schwankungen der Zerfallsrate zeigen sich beim so genannten Beta-Zerfall von Atomkernen, an dem Neutrinos beteiligt sind. Fischbach und seine Kollegen äußern daher die Vermutung, dass die von der Sonne kommenden Neutrinos den Kernzerfall beeinflussen. Da die Halbwertszeiten beim Betazerfall sehr unterschiedlich sind – sie reichen von Sekunden-Bruchteilen bis zu Milliarden von Jahren – sehen die Forscher keine Überraschung darin, dass die Isotope unterschiedlich auf Neutrinos reagieren: „Man sollte nicht erwarten, dass die periodischen Effekte bei allen Beta-Zerfällen gleich stark auftreten.“

Die Abhängigkeit der Zerfallsrate von der Sonnenaktivität ließe sich nach Ansicht von Fischbach für ein Frühwarnsystem nutzen. Große Eruptionen auf der Sonne können zu geomagnetischen Stürmen führen, die für Astronauten lebensbedrohlich sind, Telekommunikations- und Energieversorgungsnetze stören und Fehlfunktionen von Satelliten auslösen. Mit einer Vorwarnzeit von deutlich über einem Tag könnten rechtzeitig Schutzmaßnahmen ergriffen werden. Bisherige Systeme bieten lediglich eine Vorwarnzeit von zwei bis drei Stunden. Fischbach und seine Kollegen haben bereits ein auf dem Zerfall von Mangan-54 basierendes Konzept für ein solches Frühwarnsystem zum Patent angemeldet.

Bildquelle: Nasa