Untersuchung von 15 Millionen Galaxienbildern liefert überraschendes Ergebnis

Bonn - Die rätselhafte Dunkle Materie ist in den großräumigen Strukturen des Universums deutlich gleichmäßiger verteilt als bislang angenommen. Zu diesem Ergebnis kommt ein internationales Forscherteam nach der Analyse von 15 Millionen Galaxienbildern im Rahmen des „Kilo Degree Survey“, einer Himmelsdurchmusterung am VLT Survey Telescope der Europäischen Südsternwarte ESO. Der Befund weicht deutlich von früheren Messungen des europäischen Satelliten-Observatoriums Planck ab, der die kosmische Hintergrundstrahlung untersucht hat. Grundlegende Aspekte der kosmischen Entwicklung müssten daher möglicherweise neu überdacht werden, so die Wissenschaftler im Fachblatt „Monthly Notices of the Royal Astronomical Society“.

„Unsere Ergebnisse werden entscheidend dazu beitragen, die theoretischen Modelle weiterzuentwickeln, wie sich das Universum von seinem Ursprung bis heute entwickelt hat“, erläutert Hendrik Hildebrandt vom Argelander-Institut für Astronomie in Bonn. Der „Kilo Degree Survey“ deckt mehrere Himmelsregionen mit einer Gesamtfläche von 450 Quadratgrad ab. Das entspricht etwa der 2200-fachen Fläche des Vollmonds am Himmel. Hildebrandt und seine Kollegen haben die Form der in diesen Regionen enthaltenen 15 Millionen Galaxien auf systematische Verzerrungen hin untersucht.

Diese als „kosmische Scherung“ bezeichneten Verzerrungen entstehen durch den Einfluss der Schwerkraft auf die Ausbreitung des Lichts. In kleinerem Rahmen können Astronomen so aus systematischen Deformierungen der Galaxienbilder die Massenverteilung in Galaxienhaufen ableiten. Hildebrandt und seinem Team ging es jedoch um Größeres, um die Massenverteilung im kosmischen Netz aus filamentartigen Strukturen, entlang deren sich Galaxien und Galaxienhaufen ansammeln. Die sichtbaren Galaxien stellen nur einen kleinen Teil der Materie im Kosmos dar – etwa 80 Prozent der Masse liegt in Form der rätselhaften Dunklen Materie vor. Die Dunkle Materie ist zwar unsichtbar, beeinflusst aber über ihre Schwerkraft die Lichtausbreitung und lässt sich so über die kosmische Scherung nachweisen.

Hildebrandt und seine Kollegen fanden allerdings einen deutlich schwächeren Effekt als erwartet. Demnach ist die Dunkle Materie gleichmäßiger im Kosmos verteilt, als es die Astronomen bislang angenommen haben. Insbesondere die Untersuchung der kosmischen Hintergrundstrahlung durch den Planck-Satelliten hatte auf eine deutlich „klumpigere“ Verteilung der Dunklen Materie gedeutet. Noch wissen die Forscher nicht, wie sich die Unterschiede der Ergebnisse der beiden Verfahren erklären lassen. Vielleicht verzerren bislang übersehene systematische Fehler die Analysen. Möglicherweise zeigt der Widerspruch aber auch, dass sich das Universum anders entwickelt hat, als es die derzeitigen Modelle beschreiben. Aufschluss können nur weitere Beobachtungen bringen. Hier setzen die Astronomen große Hoffnungen auf das US-amerikanische Large Synoptic Telescope, das bereits im Bau ist und 2022 in Betrieb gehen soll, sowie auf das europäische Weltraumteleskop Euclid, dessen Start für 2020 vorgesehen ist.

Bildquelle: Kilo-Degree Survey Collaboration/H. Hildebrandt & B. Giblin/ESO