Spezielle Sterne dienen Astronomen als kosmische Uhren

Die bislang genauesten Datierungen zur Entstehung und Entwicklung der Milchstraße sind jetzt zwei Forschern des Max-Planck-Instituts für Astronomie in Heidelberg gelungen. Dazu verwendeten die Wissenschaftler insgesamt 247.104 spezielle Sterne – Unterriesen genannt – als kosmische Uhren. Die Scheibe der Milchstraße ist demnach bereits vor 13 Milliarden Jahren – nur 800 Millionen Jahre nach dem Urknall – entstanden, wie Maosheng Xiang und Hans-Walter Rix im Fachblatt „Nature“ berichten.

„Das ist zwei Milliarden Jahre, bevor sich der innere Halo gebildet hat“, so die beiden Wissenschaftler. Der innere Halo ist eine Art Hülle aus Sternen um die Scheibe der Milchstraße. Die Entstehung dieser Hülle fällt mit der Verschmelzung der jungen Milchstraße mit einer kleineren Galaxie – von den Astronomen „Gaia-Sausage-Enceladus“ getauft – zusammen. Dieses Ereignis löste offenbar auch die Entstehung vieler Sterne in der Scheibe aus.

Unsere Milchstraße ist eine Spiralgalaxie. Die meisten Sterne befinden sich in einer Scheibe und einer zentralen Verdickung, der „Bulge“. Eingehüllt ist diese Scheibe in einen inneren und einen äußeren Halo. Die genaue Entwicklungsgeschichte der Milchstraße und ihrer komplexen Struktur nachzuvollziehen, ist für Astronomen keine leichte Aufgabe. Denn dazu müssen sie das Alter und die Herkunft möglichst vieler Sterne bestimmen.

Besonders geeignet für die Altersbestimmung sind „Unterriesen“. Sterne wie unsere Sonne erzeugen in ihrem Kern Energie durch die Kernfusion von Wasserstoff zu Helium. Wenn der Vorrat an Wasserstoff im Kern verbraucht ist, dehnt sich ein Stern zu einem roten Riesen aus. Doch davor liegt eine kurze Phase – eben die des „Unterriesen“ –, in der Energie durch die Kontraktion des Kerns entsteht. Diese Phase ist astronomisch gesehen kurz, sie dauert wenige Millionen Jahre, aber sie liefert den Astronomen sehr genau das Alter eines Sterns.

Das Problem: Da die Unterriesen-Phase nur kurz andauert, ist es schwierig, Sterne in dieser Phase aufzuspüren. Xiang und Rix machten sich jetzt zwei große Durchmusterungen des Himmels zunutze. Einerseits jene des europäischen Astrometrie-Satelliten Gaia, der die Entfernung und die Bewegung von über einer Milliarde Sternen in der Milchstraße gemessen hat. Und andererseits das Large Sky Area Multi-Object Fibre Spectroscopic Telescope, kurz LAMOST, das bereits Spektren von mehreren hunderttausend Sternen geliefert hat.

Anhand dieser Spektren – also der Verteilung der Strahlung auf verschiedene Wellenlängen – können Astronomen die chemische Zusammensetzung der Sterne bestimmen. Je mehr schwere Elemente die Atmosphäre eines Sterns enthalten, umso später in der galaktischen Geschichte muss er entstanden sein. Denn die schweren Elemente müssen im Inneren von Sternen vorhergehender Generationen durch Kernfusion entstanden sein.

Durch die Kombination der Daten beider Teleskope konnten Xiang und Rix 247.104 Unterriesen identifizieren, ihr genaues Alter bestimmen und zuordnen, woher diese Sterne stammen. „Die Unterriesen sind auf diese Weise die besten Indikatoren für die galaktische Archäologie, die wir haben“, so Xiang und Rix. Insgesamt überdeckt das Alter der untersuchten Sterne einen Bereich von 1,5 bis 13,8 Milliarden Jahren, also nahezu die gesamte Geschichte unserer Milchstraße. Die meisten Sterne konnten Xiang und Rix dabei der Entstehungsphase der Scheibe und des inneren Halos der Galaxis zuordnen. Für die Zukunft erhoffen sich die Forscher, weitere Unterriesen zu identifizieren. Denn je mehr dieser Sterne die Astronomen untersuchen können, desto detailliertere Aussagen lassen sich über die Entwicklungsgeschichte der Milchstraße treffen.

Bildquelle: Stefan Payne-Wardenaar / MPIA