Forscher analysieren Ereignis von 1872 anhand historischer Aufzeichnungen

Eine eher unscheinbare Gruppe von dunklen Flecken auf der Sonne führte im Februar 1872 zu starken Störungen des irdischen Magnetfelds – und dieser Sonnensturm war heftiger als bislang angenommen. Das zeigt die Auswertung einer Vielzahl historischer Quellen durch ein internationales Forschungsteam. Nordlichter waren bis fast zum Äquator sichtbar und Telegrafie-Verbindungen fielen nicht nur in Europa, sondern auch in Asien aus. Der Sonnensturm zähle damit zu den drei stärksten, die bislang beobachtet wurden – und solche, für die moderne technische Gesellschaft gefährlichen Ereignisse könnten häufiger vorkommen als bislang vermutet, so die Wissenschaftler im Fachblatt „Astrophysical Journal“.

Auslöser von Sonnenstürmen sind schlagartige Änderungen im Magnetfeld unseres Zentralgestirns. Da die Sonne sich am Äquator deutlich schneller dreht als an ihren Polen, verdrillt sich ihr Magnetfeld in einem elfjährigen Rhythmus. Es bilden sich eine Art magnetischer Schläuche, die an die Oberfläche durchbrechen können und dort kühle Zonen – die dunklen Sonnenflecken – erzeugen.

Treffen außerhalb der Sonne Magnetfeld-Schläuche aufeinander, so kann es zu einer Art Kurzschluss kommen: Die Feldlinien ordnen sich schlagartig neu und setzen dabei große Mengen an Energie frei. Die Folge: Ein „koronalen Massenauswurf“ schleudert elektrisch geladene Materie aus der heißen Sonnenatmosphäre – der Korona – mit hoher Geschwindigkeit ins All hinaus.

Trifft dann ein solcher Massenauswurf auf das Magnetfeld der Erde, so löst er einen geomagnetischen Sonnensturm aus. Dieser führt einerseits zu wunderschönen Polarlichtern – kann andererseits aber auch verheerende Folgen für unsere technische Zivilisation haben. So können die hochenergetischen elektrisch geladenen Teilchen des Sonnensturms die empfindliche Elektronik von Satelliten stören oder gar beschädigen. Und stark schwankende Magnetfelder induzieren Ströme in elektrische Leitungsnetze, können so zu Überlastungen von Transformatoren führen und großflächige Stromausfälle auslösen.

Bislang galten das „Carrington-Ereignis“ vom September 1859 und der „New York Railroad Storm“ vom Mai 1921 als die stärksten Sonnstürme in der bekannten Geschichte. In beiden Fällen kam es zu Ausfällen von Telegrafie-Verbindungen und zu Bränden durch elektrischen Funkenschlag. Und 1921 fiel die gesamte Signal- und Schaltanlage der New York Central Railroad aus – daher der Name dieses Sonnensturms.

Bereits 2018 äußerte Hisashi Hayakawa vom Rutherford Appleton Laboratory in Großbritannien die Vermutung, ein Sonnensturm im Februar 1872 könnte von ähnlichem Kaliber gewesen sein. Doch die Datenlage zu diesem Ereignis war dünn, so fanden seine Überlegungen zunächst wenig Widerhall in der Fachwelt. Doch Hayakawa war hartnäckig: Er knüpfte Verbindungen zu Forschern in aller Welt und begann mit ihnen, alte Aufzeichnungen und Archive nach Informationen zu diesem Ereignis zu durchforsten. Mit beträchtlichem Erfolg.

Über 700 Berichte belegen, dass im Februar 1872 Polarlichter bis fast zum Äquator hin sichtbar waren. Telegrafie-Verbindungen waren nicht nur im Norden, sondern auch zwischen Indien und dem Jemen, sowie zwischen Ägypten und Sudan gestört. Mithilfe in Archiven schlummernden Messungen des irdischen Magnetfelds ließen sich dessen Änderungen während des Sonnensturms rekonstruieren. „Das alles zeigt, dass im Februar 1872 einer der extremsten Sonnstürme der Geschichte stattfand“, so Hayakawa, „er war von gleicher Stärke wie jene von 1859 und 1921.“

Und den Forschern gelang es sogar, den Auslöser des Sonnensturms aufzuspüren: Aufzeichnungen von Astronomen in Belgien und Italien zeigen eine Gruppe dunkler Flecken in der Mitte der Sonnenscheibe. Und das war eine Überraschung – denn die Fleckengruppe war nicht allzu groß. „Selbst extreme Sonnenstürme können also bereits durch Fleckengruppen mittlerer Größe ausgelöst werden“, betonen die Forscher.

„Wir wissen nun, dass es innerhalb von nur 60 Jahren gleich drei extreme Sonnenstürme gab“, betont Hayakawa, „die Bedrohung durch solche Ereignisse für unsere moderne Gesellschaft ist also nicht zu unterschätzen.“ Gerade jetzt zeigt sich unsere Sonne wieder sehr aktiv. Bis ans Mittelmeer waren unlängst Nordlichter zu sehen und das nächste Maximum der Sonnenaktivität mit vielen Flecken und Ausbrüchen erwarten die Wissenschaftler für das Jahr 2025.

Die moderne Gesellschaft hängt immer stärker von der technischen Infrastruktur ab – von der Stromversorgung, von den Kommunikationsnetzen, von der Satelliten-Navigation. Und diese Infrastruktur ist anfällig für Störungen durch Sonnenstürme und könnte tagelang ausfallen. „Können wir unser Leben ohne diese Infrastruktur aufrecht erhalten?“, fragt Hayakawa, „es wäre jedenfalls eine extreme Herausforderung.“

Bildquelle: SHOUNJI TEMPLE